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“Chanel N° 5”: Ohne diese fünf Orte würde der Duftklassiker heute anders riechen | Vogue Germany

Zum 100. Geburtstag von “Chanel N° 5” – eine Reise zu den Ursprüngen des berühmtesten aller Düfte

“Chanel N° 5” wurde 1921 erstmals vorgestellt. Die Legende um das berühmteste Parfum der Welt ist gespickt mit mysteriösen Ereignissen, phänomenalen Geschichten und ungewöhnlichen Zufällen. Es ist nicht einfach, sie zu rekonstruieren, aber in dieser Reise durch Frankreich erzählen wir Ihnen von den fünf Orten, die am meisten zur Entstehung von “N° 5” beigetragen haben. Denn sie spielen auch eine wichtige Rolle in der faszinierenden Lebensgeschichte Coco Chanels – von ihren Jahren im Waisenhaus von Aubazines bis zu dem immensen Erfolg, den sie in Paris erreichte.

1. Aubazines – Coco Chanels Kindheit im Kloster

Gabrielle Bonheur Chanel wurde arm geboren, sehr arm. Und ihre Kindheit war sicherlich keine glückliche. Als ihr verwitweter Vater Henri-Albert Chanel sie den Schwestern vom Heiligsten Herzen von Aubazines anvertraute, war Gabrielle zwölf Jahre alt. Bis zu ihrer Volljährigkeit blieb sie in dem im Dachgeschoss der Zisterzienserabtei aus dem zwölften Jahrhundert eingerichteten Waisenhaus, bevor sie nach Moulins und schließlich nach Paris zog. Die Zeit, die sie in Aubazines verbrachte, wird für immer in ihrem Gedächtnis verankert bleiben, ihr Werk tiefgreifend beeinflussen, ihre Ästhetik definieren und die Entscheidungen für ihre Zukunft bestimmen. Das strenge und genügsame Leben im Kloster ließ sie von den Salons der feinen Gesellschaft, den Herzen der reichsten Herren, dem Komfort der Damen, wirtschaftlicher Unabhängigkeit und Freiheit träumen.

Die Zisterzienserabtei von Aubazines

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Am Ende wird jedes Detail von Aubazines für ihren künftigen Erfolg prägend sein. Coco Chanels Liebe zu klaren Linien, Strenge und präziser Zweifarbigkeit soll von der strengen Architektur des Klosters und der Schlichtheit der Kleidung der Nonnen herrühren. Auch ihre Besessenheit von der Numerologie und insbesondere von der Zahl 5 wurde im Kloster geboren, das nach den Prinzipien der Symbolik des Fünfecks erbaut wurde, einer wiederkehrenden Form, die in den Stein der Kapellenböden eingraviert ist und im Zentrum mystischer Geschichten steht, die von den Nonnen überliefert wurden. Selbst das Logo des Hauses Chanel wurde von den geometrischen Motiven der großen Buntglasfenster in Aubazines inspiriert. Und nicht zuletzt sollten die Gerüche dieses Ortes – von frisch gewaschener Wäsche, von Seife, mit der man sich morgens das Gesicht wäscht – Chanels ersten Duft, “N° 5” inspirieren.

Das Dorf Aubazines im Département Corrèze

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Judithe Little lässt in ihrem Roman “Die Schwestern Chanel” Gabrielle selbst sagen: “Bestimmte Details von Aubazines würden für immer bei uns bleiben. Das Bedürfnis nach Ordnung. Die Liebe zur Einfachheit und der Geruch von Sauberkeit. Ein ausgeprägter Sinn für Bescheidenheit. Die Aufmerksamkeit auf die Handwerkskunst, tadellose Nähte. Die Gelassenheit des Kontrasts zwischen Schwarz und Weiß. Die rauen, zerknitterten Stoffe von Bauern und Waisenkindern. Die Rosenkränze, die die Nonnen trugen, waren wie Ketten um ihre Hüften gebunden. Die Mosaike im Korridor, reich an mystischen Symbolen wie Sternen und Halbmonden, sind dazu bestimmt, als Bijoux de diamants auf Halsketten, Armbändern und Broschen wieder aufzutauchen. Die Symbole wiederholten sich auf dem historisierenden Glas, die ineinander verschlungenen Cs, die zum Synonym für Luxus und Prestige werden sollten. Dasselbe Kloster, so alt, weitläufig und leer, das uns den Raum gelassen hatte, um uns vorzustellen, um Möglichkeiten zu entfalten. All die Jahre dachte man in der Rue Cambon, in Deauville, in Biarritz, man würde Chanel kaufen, Eleganz, mondäne Pariser Modelle. Was sie in Wirklichkeit kauften, waren die Ornamente unserer Kindheit, die Erinnerungen an die Nonnen, die uns erzogen hatten, an die Abtei, die uns beschützt hatte. Eine Illusion von Reichtum spross aus den Lumpen unserer Vergangenheit.”

Cover von Judithe Littles Roman “Die Schwestern Chanel”, Verlag Harper Collins, 400 S, 15 €

2. Biarritz – Chanel startet ihre Couture-Karriere

Eingebettet zwischen den ungestümen Wassern des Atlantiks und dem raffinierten Charme der Belle Époque hat Biarritz seit Mitte des 19. Jahrhunderts seine Spuren in den Seelen von Königen und Königinnen hinterlassen, in den 1970er-Jahren die Hippie-Gemeinden in seinen Bann gezogen und in den folgenden Jahren Tausende von wagemutigen Surfern auf der Suche nach der perfekten Welle versammelt. Für Coco Chanel war es das Zentrum, in dem Liebe, Glanz und Eleganz herrschten, der Beginn des Erfolgs, die leuchtende Hochburg, von der aus der Aufbau eines riesigen Imperiums begann. Als Mademoiselle 1915, mitten im Ersten Weltkrieg, dorthin flüchtete, spürte sie sofort das Potenzial des Ortes und beschloss, dort ihr erstes echtes Haute-Couture-Haus zu eröffnen – dank der Ermutigung und finanziellen Unterstützung ihrer großen Liebe Arthur “Boy” Capel. 

Die Promenade Grande Plage, die entlang des Plage du Miramar in Biarritz verläuft

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Ihr Traum wird also in der Villa Larralde, gegenüber dem Casino von Biarritz, wahr, aber die französische Stadt ist in der Geschichte von “N° 5” vor allem deshalb wichtig, weil Chanel hier nach dem Unfalltod von Capel 1919 den Großherzog Dmitri Pawlowitsch Romanow kennenlernt, einen Cousin des Zaren im St. Petersburger Exil, elf Jahre jünger als sie. Sie verlieben sich ineinander, ein ebenso kurzer wie intensiver Flirt. Und obwohl die Beziehung zu dem russischen Aristokraten nur bis 1922 dauerte, war das Treffen mit ihm grundlegend für die Geburt des legendären Duftes, denn er war es, der sie Ernest Beaux vorstellte, der Moskauer “Nase”, die dann das berühmteste Chanel-Parfum kreieren sollte.

Strand der Côte des Basques in Biarritz 

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3. Cannes – für Coco Chanel ein Ort der Liebe und des Business

Vor dem glamourösen Jetset der 1950er-Jahre, vor den prestigeträchtigen Filmfestspielen und der Croisette, wie wir sie heute kennen, galt Cannes bereits als ultraschickes, exklusives Reiseziel für die wenigen Privilegierten. Damals wohnte man im “Carlton”, dem später von Grace Kelly oder Alain Delon bevorzugten Hotel, in dem lange vor diesen Stars auch Coco Chanel abzusteigen pflegte. Tatsächlich logierte sie dort mit Romanow, während die Liebesbeziehung zwischen den beiden auf dem Höhepunkt war, und reiste an der Côte d’Azur zwischen Monte Carlo, Antibes und Cannes umher, wo sie schließlich 1920 ihre schicksalhafte Begegnung mit Ernest Beaux hatte, einem ehemaligen Parfümeur am Zarenhof, der an ungewöhnliche Schrullen und unmögliche Wünsche gewöhnt war. “Ich will keinen Rosenduft oder Maiglöckchenduft, ich will ein aufwendiges Parfum. Einen Frauenduft, der wie eine Frau riecht”, forderte Chanel von Beaux, kurz bevor die beiden begannen, zusammen die größte olfaktorische Revolution der Geschichte zu entfesseln. 

Panoramablick auf den Hafen von Cannes

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Und wenn auch ein Teil des Bouquets von “N° 5” in Grasse, in der Provence, geboren wurde, so war es doch in Cannes, wo die erste Präsentation des Duftes stattfand. Nachdem sie sich für den fünften der zehn von Beaux vorgeschlagenen Flakons entschieden hatte, arbeitete Gabrielle an einer cleveren Marketingkampagne: Sie stellte das Produkt nicht sofort im Schaufenster aus, sondern organisierte ein Abendessen mit ihrer “Nase” im exklusivsten Restaurant der Stadt, wobei sie ein Fläschchen mitnahm und es wiederholt versprühte, während die Damen vorbeigingen. Der damals völlig neuartige, so noch nie erlebte Chanel-Duft zog die künftigen Kundinnen sofort in seinen Bann, so sehr, dass sie neugierig und beharrlich die Kellner des Restaurants nach seiner Herkunft fragten. Und während die beiden Geschäftspartner Gleichgültigkeit vortäuschten, sorgte an diesem Abend in Cannes “N°5” erstmals für Furore.

Die Promenade de la Croisette in Cannes

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4. Grasse – die Stadt der Düfte, auch für Chanel 

Mit Blumen scheint es ähnlich zu sein wie mit Wein: Ein hervorragender Jahrgang ist eng mit der Aussaat, der Höhenlage des Bodens, dem Winkel, in dem die Sonne scheint, der Stärke des Windes und der Luftfeuchtigkeit verbunden. Wenn also die besten Bläschen aus der Champagne kommen, öffnen sich die kostbarsten Knospen in Grasse, der Welthauptstadt der Parfums, die heute als UNESCO-Kulturerbe anerkannt ist. Die Stadt im provenzalischen Hinterland ist bekannt als die beste Schule für Maître Parfumeurs, die lernen, über 2000 verschiedene Essenzen zu unterscheiden und sie nach der fachmännischen Alchemie großer Künstler kunstvoll zu mischen. Grasse ist die Hochburg jener französischen Maisons, die seit 400 Jahren zwischen diesen Hügeln kostbare Knospen anbauen, um sie im Morgengrauen zu pflücken und in die teuren Träume in Flakons zu verwandeln, die von den Damen so begehrt werden. 

Mai-Rosen, die in Grasse für Chanel gezüchtet wurden

© Courtesy of Chanel

Kurz gesagt, die Geheimnisse einer Multimillionen-Dollar-Industrie werden eifersüchtig zwischen den blühenden Feldern von Grasse gehütet, darunter auch das Rezept, das Ernest Beaux vor hundert Jahren für Chanel entwickelt hat. Und obwohl niemand genau weiß, welche 80 Ingredienzien der Parfümeur 1921 in das ursprüngliche Bouquet des Duftes mischte und in welchen Mengen, ist bekannt, dass das Herz des “N° 5”-Duftes Tausende von Jasminblüten und Dutzende von Mairosen enthält, die dank der Zusammenarbeit mit der Familie Mul, einem historischen lokalen Blumenproduzenten und Partner von Chanel seit 1987, immer noch ausschließlich in Grasse angebaut werden. 

Mai-Rosen in Grasse

© Courtesy of Chanel

5. Paris – das Zentrum von Chanels Erfolg

Das Ende dieser langen Reise konnte uns nur nach Paris führen, die Stadt, die das Symbol von Chanel und ein wesentlicher Platz in der Erzählung der Geschichte von “N° 5” ist. Wir befinden uns im ersten Arrondissement, nur einen Steinwurf von der Rue Cambon, der Place Vendôme und dem Hotel “Ritz” entfernt, den drei Eckpfeilern der Erfolgskonstellation von Chanel, dem Palast ihrer Herrschaft, den Orten im Viertel, die noch immer ihre Essenz tragen. Die 1910 eingeweihte Boutique in der Rue Cambon, in der sich auch heute noch die Ateliers des Hauses befinden, war die erste, in der das Parfum zum Kauf angeboten wurde: ein unvorstellbarer kommerzieller Erfolg, der bald die Landesgrenzen überschritt und sich auf Europa und die Vereinigten Staaten ausdehnte. 

Der Blick auf die Place Vendôme aus Coco Chanels Suite im “Ritz”

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Place Vendôme von oben gesehen

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Die Place Vendôme ist die Inspiration für den Verschluss des Parfumflakons, für den der achteckige Schliff eines Diamanten gewählt wurde, der auf dem Grundriss des berühmten, von Jules Hardouin-Mansart entworfenen Platzes beruht. Ein Anblick, den Coco Chanel liebte und den sie jeden Tag vom Fenster ihres Zimmers im “Ritz” aus bewunderte. In dem Hotel, in das sie umzog – und in dem sie am 10. Januar 1971 im Alter von 87 Jahren starb – war das Versprühen von “N° 5” entlang der Eingangstreppe bei ihrer Ankunft ein Muss, und in der Suite, in der sie einen großen Teil ihres Lebens verbrachte, posierte sie auch für François Kollar, der sie für die erste Kampagne des Duftes porträtierte, die 1937 veröffentlicht wurde. 

Coco Chanel posiert 1937 im “Ritz”-Hotel, fotografiert von François Kollar.

© Courtesy of Chanel

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