/Corona-News: Grenzkontrollen in Europa – Pro & Contra

Corona-News: Grenzkontrollen in Europa – Pro & Contra

Kontrollen an der deutsch-tschechischen Grenze

Wegen neuer Virus-Varianten gibt es seit Sonntag Grenzkontrollen.

(Foto: dpa)

Wegen neuer Virus-Varianten gibt es seit Sonntag Grenzkontrollen.

Pro: Probates Mittel der letzten Wahl

von Nicole Bastian

Der grenzfreie Schengenraum ist eine großartige Errungenschaft des europäischen Staatenbunds. Dennoch müssen zeitlich begrenzte Einschränkungen im innereuropäischen Grenzverkehr möglich sein, wenn sie im Ausnahmefall dazu beitragen können, das Pandemiegeschehen zu einem kritischen Zeitpunkt besser zu kontrollieren.

Im Fall von Tschechien ist die Infektionslage eklatant unterschiedlich von der deutschen, gemessen an der Bevölkerung liegt die Inzidenz beim Fünffachen. Hinzu kommen Ansteckungsherde mit dem britischen Virus. In Tirol ist die südafrikanische Mutation viel stärker verbreitet.

Die Einschränkung des Grenzverkehrs kann hier kostbare Zeit erkaufen, die Deutschland braucht, bis die ersten Impfungen Wirkung zeigen. Das ist einer der Punkte, die die Grenzkontrollen dieser Tage von denen im Frühjahr vergangenen Jahres unterscheiden. Das dieser Tage erneut gern genutzte Pauschalargument, Grenzkontrollen seien kein adäquates Mittel der Pandemiebekämpfung, greift in dieser Lage zu kurz.

Top-Jobs des Tages

Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.


Standort erkennen

Immer wieder wird auf die erfolgreiche Pandemiebekämpfung in Asien verwiesen. Strikte Einreisekontrollen gehören zu den elementaren Bestandteilen dieser Erfolgsstrategie. Auch Norwegen hat im Januar bereits die Einreise für Nicht-Norweger an negative Corona-Tests und eine zehntägige Quarantäne geknüpft. Die Infektionszahlen des Landes sind nicht umsonst derzeit so gering.

In den kommenden Monaten werden Infektionsherde mit gefährlicheren mutierten Viren auch innerhalb eines Landes abgeschirmt werden – Österreich mit Tirol ist da gerade ein Beispiel.


(Foto: Burkhard Mohr)

Die Grenzkontrollen innerhalb der Europäischen Union sind letztlich nur ein Symptom: Leider haben sich die EU-Länder innerhalb eines Jahres nicht auf gemeinsame Corona-Standards bei festen Inzidenzen einigen können. Da sind bei gleichen Inzidenzen in dem einen Land die Schulen auf, im anderen zu. Das Gleiche gilt für Restaurants und Läden. Kanzlerin Angela Merkel hatte vor Wochen bereits gewarnt, dass verschärfte Grenzkontrollen die Folge von stark ungleichem Infektionsgeschehen und -vorgehen sein könnten.

Bei allem Verständnis für den Schritt muss man Berlin jedoch einen Vorwurf machen: Deutschland hätte seinen Schritt besser vorbereiten und kommunizieren müssen. Warum wird erst fünf Tage nach der Ankündigung der Grenzkontrollen definiert, welche Pendler als in systemrelevanten Berufen arbeitend definiert werden?

Ja, Deutschland ist inmitten Europas eine Drehscheibe der Wirtschaft, verschärfte Grenzkontrollen und Zugangsbeschränkungen kratzen nicht nur an unserem Selbstverständnis als dem eines grenzenlosen Europas, sie sind auch immens kostspielig. Damit sind sie ein Mittel der letzten Wahl. Aber das gilt auch für Schul- und Ladenschließungen. Auch hier sind die Kosten hoch. Und letztlich ist es ein Abwägen: Riskieren wir ohne verschärfte Grenzkontrollen vielleicht die Öffnungsperspektive für die Kinder unseres Landes?

Contra: Gefährdung unseres Wohlstands

von Thomas Hanke

Die Logik scheint überzeugend: Es gibt mehr mutierte Viren im Ausland als im Inland, also machen wir die Grenzen dicht und unsere Bürger sind geschützt! Horst Seehofer hat sie bereits einmal ausprobiert, im vergangenen Jahr an der Grenze zu Frankreich. Als er von den Abgeordneten der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung um den Nachweis gebeten wurde, dass das Mittel hilft, musste er passen.

Die Mischung aus völlig versperrten und scharf kontrollierten Grenzübergängen hatte keinen Bremseffekt auf das Infektionsgeschehens. Sie fachte lediglich alte Ressentiments an.

Sind Grenzkontrollen oder -schließungen – der Übergang ist gleitend – immer unsinnig? Nein. Ein Land wie Senegal, in dem das Coronavirus fast nicht zu finden und das nicht intensiv in die internationale Arbeitsteilung eingebunden ist, kann das Instrument einsetzen. Dort kann es sinnvoll und erträglich sein, den Personen- und Warenverkehr zeitweise zu stoppen.

Aber die Bundesrepublik Deutschland ist nicht Senegal. Hier, wo sämtliche Varianten des Virus bereits großflächig verbreitet sind, müsste man konsequenterweise nicht die Grenzen, sondern alle Gebiete mit hoher Inzidenz abriegeln. Willkommen in der Kleinstaaterei!

Und selbst dann wäre der Effekt noch vernachlässigbar. Das Virus grassiert nicht wegen der Lkw-Fahrer, die im Schnelltempo ihre Fahrzeuge entladen und wieder abrauschen. Es verbreitet sich durch lange Kontakte etwa in der Familie oder im Büro, weil dann die für eine Infektion nötigen hohen Viruslasten übertragen werden.

Wären die zu stundenlangen Wartezeiten an den Grenzen führenden Kontrollen aus epidemiologischer Sicht sinnvoll, müsste man sie immer noch einem zweiten Test unterwerfen: Wie hoch ist der Preis, den diese Politik sozial und wirtschaftlich fordert?

Wir sind die Drehscheibe der Euro-Zone, Europameister der verbundenen Produktion. Wir beziehen aus und liefern in Regionen, die Partner und nicht mehr fremdes Ausland sind. Manche Industrieprodukte werden vier-, fünfmal über die Grenze bewegt, bis sie fertig sind. Dienstleister begleiten Warenlieferungen, warten Anlagen. Wer dieses Geflecht zerschneidet, und sei es nur für wenige Wochen, legt die Axt an unseren Wohlstand und an den unserer Nachbarn.

Die Autoindustrie erlebt soeben, welche Folgen es hat, wenn ein paar Chips fehlen: Die Produktion muss gestoppt werden. Und da geht ein Innenminister hin und behindert die ganzen Lieferbeziehungen mit Partnern im Südosten, demnächst vielleicht auch wieder im Westen?

Politiker verstehen vergleichsweise wenig von Produktion und Logistik. Wäre es anders, erlebten wir nicht das extrem langsame Anlaufen der Impfungen. Diese Unkenntnis sollte nicht auch noch in der Wirtschaft ihr Unwesen treiben. Grenzen müssen gesetzt werden: für eine unverantwortliche Symbolpolitik.