Muslim Sisterhood: Eine kreative Community von und für muslimische Frauen und nichtbinäre Menschen
Für Muslim:innen in den betroffenen Regionen beginnt morgen, am 13. April 2021, bereits der zweite Ramadan mit strikten Einschränkungen basierend auf der weiteren Bekämpfung von Covid-19. Auf religiöse Pflichten wie das gemeinsame Gebet und das Fastenbrechen in Moscheen und an anderen Orten muss verzichtet werden, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern und stattdessen der religiösen Pflicht zur Erhaltung von Leben nachzukommen.
Den Gründerinnen des Kunstkollektivs Muslim Sisterhood, Lamisa Khan, Zeinab Saleh und Sara Gulamali, ging es schon lange vor Beginn der Pandemie darum, Freundschaften offline und online zu kultivieren und in den Fokus zu rücken – Bemühungen, die sich in diesen Zeiten ausgezahlt haben. Alles begann mit einem Fotoprojekt der Fotografinnen und Künstlerinnen auf Instagram. Doch nach und nach seien die stilvollen Fotoshootings zu einem Vehikel geworden, um weibliche und nichtbinäre Muslim:innen zusammenzubringen, erzählt Gulamali über Zoom von ihrem Wohnort Vancouver aus. “Wir lernten immer mehr Leute kennen, dabei diente unserer Instagram-Profil als eine Art Archiv all unserer neuen Kontakte. Ganz unbeabsichtigt ist daraus [eine Community] entstanden. Fremde sind zu besten Freund:innen geworden, und so haben sich mit der Zeit all diese Beziehungen ergeben.”
© Nina Manandhar
Wir brauchen Orte, an denen wir schwierige Gespräche führen können, aber noch wichtiger ist es für unsere Community, dass es Orte gibt, an denen wir unsere Identität zelebrieren können, die Raum für Leichtigkeit und Lebensfreude bieten. | Lamisa Khan
“Das Ganze hatte was von einem DIY-Projekt”, ergänzt Saleh, die wie auch Khan in London lebt. “In dem Projekt steckt unheimlich viel Herzblut. Meine Tante Faye zum Beispiel war für unser Make-up am Set verantwortlich, und es war toll, mit ihr zusammenzuarbeiten. Shireen Kadhim hatte unsere Arbeit schon länger verfolgt und fragte irgendwann, ob wir nicht noch eine weitere Make-up-Artist bräuchten. Die Energie am Set war fantastisch.”
Authentizität im Fokus
Ein überwiegend weibliches Team stellte sicher, dass bei den Fotoshootings die Bedürfnisse der muslimischen Models berücksichtigt wurden – nicht nur durch die Bereitstellung ungestörter Orte zum Beten, sondern auch in Sachen Art Direction und Styling, wo die Bedenken der porträtierten Personen miteinbezogen wurden. “Die Frauen, mit denen wir zusammenarbeiten, sind nicht unbedingt Models, sondern ganz normale Menschen, die ihr Vertrauen in uns setzen, sie auf schöne und authentische Art abzubilden, die nicht im Widerspruch zu ihren Werten steht”, erklärt Khan. “Dadurch entsteht eine gemeinsame Basis für unsere Arbeit.”
© Nina Manandhar
Das Ergebnis sind eindrucksvolle, komplexe Porträts junger Frauen und nichtbinärer Menschen, die allein schon durch ihre schiere Vielfalt faszinieren. Wir sehen junge Muslim:innen, einige mit geschlossenen Augen, andere direkt in die Kamera blickend, die immer im Dialog mit den Betrachter:innen stehen. Die Arbeit von Muslim Sisterhood wurde belohnt. Sie wurden eingeladen, die Porträts im renommierten Friday-Late-Programm des Londoner Victoria and Albert Museum auszustellen, einer monatlichen stattfindenden Museumsnacht für moderne Kunst und Kultur. Später folgten Kooperationen mit Marken wie Glossier, Nike und Converse. Den drei Künstlerinnen ist es gelungen, eine neue und authentische Sprache für die visuelle Kultur Großbritanniens zu schaffen, eine Kultur, die die Bilder muslimischer Frauen bislang oft lieber im Nachrichtenkontext angesiedelt hat, statt darin die Schafferinnen und Protagonistinnen visueller Kunst zu sehen.
Inzwischen sind die Aktivitäten der Muslim Sisterhood um einiges breiter aufgestellt. Zum Beispiel gibt es Workshops zur Herstellung von Räucherwerk, wodurch Orte entstehen, an denen nicht nur neue Freundschaften geschlossenen werden können, sondern die auch Raum zur persönlichen Entwicklung bieten. “Bei uns zu Hause wird immer Oud [Räucherwerk aus Adlerholz] geräuchert, aber wir haben nie wirklich gelernt, wo es herkommt”, erzählt Saleh. “[Die Schmuckdesignerin] Noura Alserkal hat uns beigebracht, wie man Bakhoor herstellt, eine Räuchermischung aus verschiedenen Bestandteilen wie Ambra, Ölen und Moschus. Wir haben gelernt, wie Adlerholz in der Natur seine besonderen Eigenschaften erhält, nämlich durch ein Harz, das im Inneren der Bäume gebildet wird. Alles, was ich mit der Muslim Sisterhood erlebt habe, war für mich transformativ und basiert auf persönlichem Wachstum und Liebe.”
Khan betont, dass es Saleh gewesen sei, die die Haltung des Kollektivs vorangetrieben habe. “Hamdullah (‘Gott sei Dank’) hat Zeinab immer darauf gedrängt, dass wir uns in der Muslim Sisterhood nicht auf die negativen Dinge konzentrieren. Wir brauchen Orte, an denen wir schwierige Gespräche führen können, aber noch wichtiger ist es für unsere Community, dass es Orte gibt, an denen wir unsere Identität zelebrieren können, die Raum für Leichtigkeit und Lebensfreude bieten.”
© Nina Manandhar
Die Bedeutung von “Sisterhood”
Im Magazin der Muslim Sisterhood kommt diese Haltung der Anerkennung und des gegenseitigen Respekts wunderbar zum Ausdruck, insbesondere gilt das für den Artikel zum Thema Rassismus gegen Schwarze von Fatima Dinee, in dem sie von den schmerzhaften Erfahrungen mit Rassismus gegen Schwarze Menschen innerhalb der muslimischen Community und von der Auslöschung Schwarzer Geschichte und Geschichten im Islam erzählt. Der Artikel, und damit auch die Muslim Sisterhood selbst, ob nun durch ihren Instagram-Account, ihr Magazin oder den Ausbau ihrer Marke, nähert sich dem Konzept der Freundschaft aus einer Position des wahren Verstehens. Dabei wird neu evaluiert, was nötig ist, um Begriffe wie “Freundschaft” oder “Sisterhood” zu verwirklichen und zu leben.
© Nina Manandhar
Die Muslim Sisterhood bietet auch einen geschützten Raum für Diskussionen und Gespräche zu Themen, die junge Musliminnen betreffen. Die Teilhabe muslimischer Frauen in Moscheen ist in einigen muslimischen Communitys noch immer ein umstrittenes Thema; viele Frauen fühlen sich ausgeschlossen. Gulamali liefert eine nuanciertere Sichtweise zu den Herausforderungen, die es noch zu bewältigen gilt: “Unsere Moscheen sind nicht immer bereit, offen über [Themen wie] Abhängigkeit oder psychische Gesundheit zu sprechen, reale Probleme, mit denen die Mitglieder dieser Community zu kämpfen haben, die jedoch als Tabu gelten. Ich weiß, dass sich Moscheen auf lokaler Ebene bereits dafür einsetzen, dass sich das ändert, aber bis es soweit ist, können wir außerhalb dieses Kontextes [Orte] zur Verfügung stellen, an denen die Werte zählen, die für uns relevant sind; Orte für Frauen, […] Orte, an denen sie nicht beurteilt werden. Ich denke, dass wir für uns eine gute Balance gefunden haben.
Alles, was ich mit der Muslim Sisterhood erlebt habe, war für mich transformativ und basiert auf persönlichem Wachstum und Liebe. | Zeinab Saleh
Die Gründerinnen der Muslim Sisterhood weiten ihr kreatives Schaffen kontinuierlich aus und
finden immer neue und innovative Möglichkeiten, um ihr Zielpublikum anzusprechen. Nach dem Erfolg ihrer gemeinsamen visuellen Essay-Aktion mit dem Fashionlabel Daily Paper zum Ramadan 2020 planen die drei Frauen in diesem Jahr eine Kooperation mit einer familiengeführten Fabrik in Pakistan, um Merchandise zu produzieren, das über ihren Onlineshop erhältlich sein wird.
“Die Jahre 2020 und 2021 haben uns gezeigt, dass das Zelebrieren von Leichtigkeit und Lebensfreude auch eine Art von Aktivismus ist”, so Khan. “Das gilt besonders in einer Gesellschaft, die versucht, andere herunterzuziehen. Uns ging es immer darum, einen Ort zu schaffen, an dem wir Freude ohne Kompromisse, aber auch unsere Community zelebrieren können. Und das trägt meiner Ansicht nach maßgeblich zu unserem Erfolg bei, Masha’Allah (‘wie Gott es wollte’).”
“Unsere Moscheen sind nicht immer bereit, offen über [Themen wie] Abhängigkeit oder psychische Gesundheit zu sprechen, reale Probleme, mit denen die Mitglieder dieser Community zu kämpfen haben, die jedoch als Tabu gelten.” | Sara Gulamali
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Credits alle Bilder: Photography by Nina Manandhar, Styling by Shaba Rahman
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