“Tina”: Die neue HBO-Doku über Tina Turner ist ein Dankeschön an ihre Fans
Sie beschreibt sich selbst als das “Mädchen von den Baumwollfeldern”, das in Nutbush, Tennessee, als Anna Mae Bullock aufwuchs und — als Tina Turner — zu einer der bestverkaufenden Künstlerinnen aller Zeiten wurde — bis jetzt hat sie ungefähr 200 Millionen Platten verkauft. Nun zeigt die neue HBO-Doku “Tina” — von Daniel Lindsay und TJ Martin, den Oscar-prämierten Regisseuren der Sport-Doku “Ungeschlagen” (“Undefeated”) von 2011 — ihre Geschichte in Form von Archivmaterial und Interviews mit Menschen, die sie kennen. Vor allem aber gibt der Film Turner selbst den Raum, die Kontrolle über ihre eigene Story zurückzugewinnen.
Gegen alle Widrigkeiten steuerte die Star-Sängerin ihren Aufstieg durch die finstersten und turbulentesten Zeiten. Zwei Jahrzehnte lang strahlte Tina auf der Bühne neben ihrem Ehemann, dem Musiker Ike Turner, den sie 1956 kennengelernt hatte, und sorgte für Hits wie “Proud Mary” (1971) und “Nutbush City Limits” (1973). Im Privatleben misshandelte Ike seine Frau Tina allerdings sowohl physisch als auch emotional. Das begann bereits in den frühen 60er Jahren und dauerte bis zum amerikanischen Unabhängigkeitstag 1976, als sie mit nur 36 Cent in der Tasche aus einem Hotelzimmer in Dallas floh, in dem Ike schlief.
Die glückliche Wiedergeburt der Tina Tuner
Mit der 1984 erschienenen Single “What’s Love Got To Do With It” erlebte die Welt Tina Turners Wiedergeburt — nicht ihr Comeback. “Es war Tinas Debüt”, erklärt sie im Film, “das war mein erstes Album”. Sie trug knappe Kleider, ihre Haare waren kürzer und sie hatte einen Traum: “Die erste Schwarze Rock’n’Roll-Sängerin sein, die Konzerthallen füllt, wie sonst die Rolling Stones.” Sie ließ rassistische Chefs von Plattenfirmen hinter sich und trat vor 180.000 Fans auf; spielte die unbeugsame Aunty Entity im Blockbuster “Mad Max III, Jenseits der Donnerkuppel” (1985); veröffentlichte ihre Memoiren, “Ich, Tina. Mein Leben” (“I, Tina: My Life Story”, 1986), drehte eine Filmbiographie und absolvierte neun Solo-Tourneen.
Obwohl Turner 2009 im Alter von 69 Jahren zum letzten Mal öffentlich auftrat, hat ihre Fähigkeit, ein weltweites Publikum in ihren Bann zu ziehen, nie nachgelassen. Seit sie sich mit ihrem zweiten Ehemann, Erwin Bach, einem Musik-Manager, den sie 2013 heiratete, in der Schweiz zur Ruhe gesetzt hat, veröffentlichte sie eine weitere Autobiographie, “My Love Story” (2018), erlebte, wie ein Musical über ihr Leben — “Tina: The Tina Turner Musical” — in London und New York Premiere hatte und erhielt einen Grammy für ihr Lebenswerk.
“Tina” ist nun in jeder Hinsicht der Schwanengesang der 81-jährigen Ikone und ein Dankeschön an ihre Fans. VOGUE spricht mit einigen ihrer engen Wegbegleiter:innen über die unvergesslichen Momente der sechs Jahrzehnte langen, schillernden Karriere des Superstars.
Donatella Versace
Donatella Versace, Gianni Versace und Tina Turner
© Gian Paolo Barbieri
“Mein Bruder Gianni und ich kleideten Tina ein, als sie im Mai 1997 in Mailand auftrat. Wir haben ein sehr kurzes Minikleid aus durchsichtigem Mesh im Lingerie-Stil entworfen. Als sie es sah, sagte sie: ‘kürzer!’. Als sie das Kleid dann anzog und sich im Spiegel betrachtete, veränderte sich plötzlich ihre Haltung. Die Löwin kam raus. Tina versteht genau, welche Kraft Kleidung hat, und weiß sie zu nutzen. Vor dem Auftritt hat sie backstage mit Gianni getanzt. Es war magisch, ich werde diesen Moment nie vergessen. Auf der Bühne war ihre Energie unglaublich!”
Lionel Richie
Tina Turner und Lionel Richie bei den Grammy Awards, 1985
© Lennox Mclendon/AP/Shutterstock
“Wenn ich an meine liebe Freundin Tina denke, dann denke ich an Entschlossenheit, Stärke und eine unfassbare Arbeitsmoral. Es gibt Performer:innen, es gibt Sänger:innen und es gibt Entertainer:innen. Tina ist alles auf einmal.”
“Tina war dabei, ihr neues Album ‘Private Dancer’ herauszubringen, und hatte gerade eine grauenvolle Scheidung hinter sich, als sie zusagte, bei meiner 1984er Welttour “Can’t Slow Down” das Vorprogramm zu machen. Ich weiß noch, wie sie zur Probe kam — sie war sehr ruhig, fast schüchtern, mit diesem faszinierenden Lächeln und dieser tollen Persönlichkeit. Dann ging die Musik los und sie wurde zu Tina Turner! Das ging so weit, dass ich selbst nicht weiter performen konnte — ich saß nur da und sah ihr zu.”
“Tinas Fan zu sein ist die eine Perspektive, aber mit ihr auf der Bühne zu stehen, war das unglaublichste Gefühl meines Lebens. Es war nie langweilig, da war immer Feuer. Was ich an Tina liebe, ist, dass sie einen mit ihrem Gesang, ihrer Performance und ihrer Energie hypnotisiert. Als ich dran war, sie anzusingen, redete sie die ganze Zeit mit mir; ich konnte mich gar nicht darauf fokussieren, was ich tat. Sie sagte immer wieder Sachen wie ‘Gib’s mir, Lionel! Gib’s mir!’ Sie spornte mich bis zu einem Punkt an, an dem ich nur noch dachte, ‘Wenn du einfach mal kurz aufhörst zu reden, dann könnte ich mich vielleicht auch konzentrieren’ [lacht].”
“Von dem Moment an, als sie während ihres Comebacks als die Tina Turner mit mir auf die Bühne ging, über die Aufnahme von “We Are The World” (1985), bis zu der Zeit, als sie mich mit auf ihre ‘Twenty Four Seven’-Tour nahm [2000], nachdem ich eine Auszeit genommen hatte – wir haben gemeinsame historische Momente, die ich niemals vergessen werde. Meine Freundin ist ein Star und eine lebende Legende — ein einzigartiger Geist, für den die Welt sich glücklich schätzen kann.”
Giorgio Armani
Tina Turner und Giorgio Armani
© Stefano Guindani / Courtesy Giorgio Armani
“Die Beziehung von mir und Tina existiert schon lange und über die Jahre haben sich gegenseitiger Respekt und Wertschätzung zu einer wunderschönen Freundschaft entwickelt. Bei einigen der wichtigsten Meilensteine meines Berufs- und Privatlebens stand sie an meiner Seite, zum Beispiel als ich 2008 die Auszeichnung der Ehrenlegion [Frankreichs höchste Ehrung – “Légion d’Honneur”] erhielt.”
“Ich fühlte mich sehr geschmeichelt, als Tina mich 2013 bat, ihr Hochzeitskleid zu entwerfen, was sie dann mit ihrem typischen explosiven Charme trug. Ich sah sie 2009 live in London, und ihre Stimme ist die perfekte Kombination von Charisma, Magnetismus und Kraft — wie sie selbst.”
“Was ich am meisten bewundere, ist ihre unbändige Energie, die Zähigkeit, die sie über die Jahre bewiesen hat, und ihre Art, sich weiterzuentwickeln und dabei ewig jung zu bleiben. Jedes Mal, wenn wir zusammen sind und ich sie ansehe, merke ich, dass die Zeit für sie wirklich still steht.”
Gayle King
“Ich habe Tina zum ersten Mal 1996 getroffen, backstage bei ihrer ‘Wildest Dreams’-Tour, und ich war voller Ehrfurcht. Sie war genauso, wie man sie erwarten würde: Hinreißend, liebenswürdig und total badass. Ich kannte ihre Lebensgeschichte und staunte, dass sie nie aufgegeben hat. Es macht mich glücklich zu wissen, dass sie jetzt seit vielen Jahren richtig geliebt wird. Und auch wenn sie nicht mehr auf die Bühne geht, sind wir, die wir sie bewundern, nach wie vor da und jubeln ihr weiter zu.”
Keith Richards
Tina Turner und Keith Richards bei einer gemeinsamen Performance, circa 1985
© Time & Life Pictures
“Ich traf Tina zum ersten Mal 1964. Wir [The Rolling Stones] begannen gerade unsere Tour durch Großbritannien. Backstage öffnete sich plötzlich eine Garderobentür und da stand Tina Turner, direkt vor uns. Nachdem ich den anfänglichen Schock verarbeitet hatte, lernte ich eine schöne, liebenswürdige Lady voller Wärme, Charme und Humor kennen. Von da an war sie wie eine große Schwester für uns. Ich weiß noch, wie sie Mick [Jagger]sagte, er solle sich die Brust [mit Menthol] einreiben, weil seine Stimme etwas heiser war. Wir haben danach oft zusammen gearbeitet. Tina brachte das Publikum jeden Abend zum Kochen und sie tut das immer noch. Was für eine Frau!”
Bob Mackie
Tina Turner in einem von Bob Mackies Designs
© Harry Langdon / courtesy Bob Mackie
“Ich habe kurz nach ihrer Scheidung von Ike [1978] angefangen, mit Tina zu arbeiten. Sie kam zurück ins Showgeschäft — bei ihren Shows in Las Vegas zog sie sich bis zu zwölf mal um, und sie trat mit Cher im Fernsehen auf. Ich habe den beiden komplett identische Kleider mit Flammen aus Pailletten gemacht. Sie waren beide genau gleich angezogen — es war einfach großartig! Tinas Körper und ihre Beine sind unglaublich, deshalb wäre es langweilig gewesen, ihr eine Abendrobe anzuziehen. Sie ging in einigen der billigeren Boutiquen in Paris einkaufen, brachte mir Kleider und sagte: ‘Lass mich wie eine Höhlenfrau aussehen!’”
“Jahre später kleidete ich sie 2008 für die Tour zu ihrem 50-jährigen Bühnenjubiläum ein. Ich besuchte sie in ihrem Haus in der Schweiz, und als ich ankam, erklärte sie dem Gärtner gerade genau, wie er alles machen sollte; ihre Kostüme befanden sich alle sorgfältig geordnet in ihrer Garage — sie ist eine echte Perfektionistin.”
“Tina war damals schon so Mitte siebzig. Während ihrer Auftritte schwebte sie an einem mechanischen Arm, den wir ‘die Klaue’ nannten, hoch über dem Publikum, in turmhohen Louboutin-Pumps und ohne Sicherheits-Geschirr. Sie wusste genau, wer sie war und was sie uns auf dieser Bühne geben würde. Die Frau ist echt eine Naturgewalt und ich bewundere sie.”
Rod Stewart
Rod Stewart auf der Bühne mit Tina Turner, circa 1981
© Christian Simon Pietri / Sygma via Getty Images
“Ich hatte nie die Gelegenheit gehabt, mit jemandem zu singen, mit dessen Musik ich groß geworden war. Leider waren alle bereits verstorben — Sam Cooke, Otis Redding, Muddy Waters. Aber dann, 1990, lief ich plötzlich einen Boulevard voller Menschen in Nizza in Südfrankreich entlang und sang ‘It Takes Two’ für eine Pepsi-Werbung mit der Göttin Tina Turner. Und wir hatten ähnliche Frisuren!”
“Tina mag mit Bowie oder Jagger gesungen haben, aber eine meiner schönsten Erinnerungen ist die reine, glitzernde Magie, als wir 1981 im Forum in Los Angeles “Hot Legs” sangen. Was für eine Legende. Was für eine Stimme. Der absolute Inbegriff von Sexiness… Und Tina war auch nicht schlecht.”
“Tina” ist jetzt im Streaming bei HBO, Sky und Foxtel in Australien zu sehen, und startet im Juni weltweit.